PARK FICTION

DIE WÜNSCHE WERDEN DIE WOHNUNG VERLASSEN UND AUF DIE STRASSE GEHEN.

Park Fiction hat in den Neunzigerjahren bestimmte Arbeitsbegriffe geprägt oder in den Planungskontext übertragen, die wichtigsten sind:

Wunschproduktion:

Für Park Fiction nimmt Christoph Schäfer den durch Gilles Deleuze und Felix Guattari im „Anti-Ödipus“ (1972) geprägten Begriff der Wunschmaschine, um damit eine überindividuelle Gestaltungspraxis zu beschreiben, die die künstlerischen Freiheiten auf die Vielen erweitert. „Kollektive Wunschproduktion“ ist ein offener partizipativer Prozess, der utopische Überschüsse (Nicole Vrenegor) produziert und das Imaginäre in ein Spannungsverhältnis zum Realen bringt.

Die Idee einer kollektiven Wunschproduktion geht auf das Nachbarschaftsprojekt Park Fiction in Hamburg (1995 –2005) zurück. Zentral ist dabei, dass der Prozess nicht auf eine beliebige Äußerung von ergebnisorientierten und messbaren Wünschen reduziert wird, vielmehr geht es um eine kreative und spielerische Herangehensweise: Autark für sich und in der Summe gemeinsam werden Visionen und die Bedingungen eines zukünftigen Ortes erarbeitet. Die kollektive Wunschproduktion geht von den Potentialen eines Ortes aus und nicht wie bei der Frage nach Bedürfnissen von einem Mangel.

Quelle:
Webseite des Berliner Bezirks Kreuzberg-Friedrichshain

Planungsprozess als Spiel:

Schon in den 50erjahren sieht die Situationistische Internationale das Ende der autonomen Kunst heraufdämmern. Nach Ansicht der revolutionären Künstler*innen würde sich in naher Zukunft die Kunst in einer spielerischen Gestaltung von umfassenden Situationen durch alle auflösen. Stadtteile würden sich kollektiv organisieren und ihren Außenraum einer bestimmten Leidenschaft gemäß gemeinsam neu definieren. Park Fic- tion greift diesen Begriff des „Spiels“ auf, als generelle Metapher für eine Herangehensweise, die Plattformen des Austauschs schafft und Planung mit spielerischen Tools, Knete, Stiften und Telefonhotline-für-Menschen-die-Nachts-inspiriert-sind zugänglich macht. Am Ende organisiert Park Fiction jedoch den Planungsprozess ganz wörtlich als Spiel, mit Spielregeln, die für alle Beteiligten transparent und verbindlich sind.


Infotainment:

Neben Tools und Wunschproduktion nutzt Park Fiction den Planungsprozess dazu, „sich gegenseitig schlauer zu machen“ (Czenki). Vorträge und Workshops untermauern und füttern den Planungsprozess mit einer Vielfalt unterschiedlicher Perspektiven und Expertisen – im Idealfall mit einem leichten, einladenden und unterhaltsamen Grundton.

Paralleler Planungsprozess

„Einen Park planen, obwohl man dazu gar nicht beauftragt ist“: Mit dieser Methode hat Park Fiction über Jahre im Stadtteil an der Idee des Parks völlig unabhängig gearbeitet – und profunde Alternativen zur dort ur- sprünglich geplanten Riegelbebauung entwickelt. Statt also nur zu protestieren, haben viele Menschen, zunächst von der Politik unterschätzt, ganz konkrete Vorstellungen entwickelt
und dem Projekt auf diesem Weg im Viertel und in der Zivilgesellschaft eine große Legitimität erarbeitet. Und sich am Ende durchgesetzt. Philosoph Oliver Marchart nennt das: pre-enactment.

Wichtig ist für Park Fiction von Anfang an die Zusammenarbeit mit der Hamburger Musikszene, deren selbstironische Poesie, deren kooperativer Spirit und deren Leichthändigkeit in der Produktion von Situationen den Stil des Projekts prägen.

Kunst im öffentlichen Raum

„Unter dem programmatischen Stichwort „weitergehen“ hat die Kulturbe- hörde im Rahmen ihres Programms „Kunst im öffentlichen Raum“ eine neue Initiative gestartet. Mit einer Fol- ge von sehr unterschiedlichen Projek- ten sollen Möglichkeiten eines erwei- terten Verständnisses von „Kunst im öffentlichen Raum“ vorangetrieben bzw. experimentell ausgelotet werden …“

Kulturbehörde Hamburg 1995


Kuratiert von Stephan Schmidt-Wulffen und Achim Könneke werden sieben internationale
künstlerische Positionen eingeladen, darunter Christoph Schäfer, zunächst bis 1996 zusammen mit Cathy Skene, ab 1998 massgeblich geprägt durch Margit Czenki. Die Künstler*innen arbeiten zu diesem Zeitpunkt bereits beim Hafenrandverein für selbstbestimmtes Leben und Wohnen auf St. Pauli, der Initiative für einen Park mit. In enger Zusammen- arbeit mit der Initiative entwickeln die Künstler*innen das Projekt „Park Fiction“, und schlagen diesen „Planungsprozess als Kunstprojekt“ vor.auch


Park Fiction macht den Gremien sofort deutlich, was ein erweiterter Kunstbegriff denn sein könnte: innovative Methoden, kollektive Autor*innenschaften, relationale Kunstpraxis, Demokratisierung, kritische Intervention in Verwaltungshandeln und Wirklichkeit. Umgehend erteilen Kunstkommission und Kulturbehörde dem Projekt eine Zusage.


… bis die Stadtentwicklungsbehörde davon Wind bekommt – und innerbehördlichen Druck ausübt, das Projekt auf Eis zu legen. Doch zu diesem Zeitpunkt ist Park Fiction bereits in den tonangebenden Kunstmagazinen besprochen: „Es riecht nach Praxis wie nach frischen Brötchen“ schreibt Gunther Reski in „Texte zur Kunst“. Es entsteht eine interessante Spannungssituation, in der das Projekt zwischen selbstorganisierter, „paralleler“ Planung aus dem Stadtteil und behördlicher Anerkennung oszilliert, bis schließlich der politische Druck steigt und im Herbst 1997 kurz vor der Wahl der von Park Fiction entwickelte Prozess durch – und 1:1 umgesetzt wird.

Planung 1998 – 2005


1998 beginnt der offizielle Planungsprozess / Wunschproduktion. Das Kunstbudget in Höhe von DM 120.000 (Programm Kunst im öffentlichen Raum) wird vollständig kollektiviert. Margit Czenki beteiligt sich mit dem Kinderhaus am Pinnasberg an der Planung, dreht ab 1997 den Park Fiction Film und trägt das Projekt seit 1998 massgeblich. Parallel dazu arbeitet Landschaftsplanerin Ellen Schmeisser bezahlt von der Umweltbehörde an der Überset- zung der Ergebnisse in ein Freiraum- konzept. Ein Runder Tisch mit allen an der Entscheidung beteiligten Behör- den und Bezirken tagt öffentlich in der Schulaula. Für die Umsetzung holt sich Park Fiction das Freiraum-Archi- tekturbüro arbos als Kooperationspartner*in ins Boot.

Aus den Wünschen der Vielen entsteht zunächst der Entwurf eines “Parks mit unterschiedlichen Zimmern” (Ellen Schmeisser), u.a. Schauermannspark, Kreisverkehr mit Seeräuberinnenbrunnen, Pudeltreppe, Kirchgarten, „kollektiver Balkon“ auf dem Turnhallendach, und schliesslich das Konzept unterschiedlicher Inseln, die die zunächst aggregierte Wunschproduktion zu einer Raumprogrammatik anordnet, in der Unterschiedlichkeiten zugespitzt werden und anders als im „homogenisierten Normraum“ des Industriezeitalters, sich akzentuieren: Tulpenfeld aus Tartan, Fliegender Teppich, Pal- meninsel, Bambushain des bescheidenen Politikers (bis 2013), Nachbarschaftsbeete, Boulebahn, Amphitrion am Pudelklub, Stege und Sand am Schauermannspark. Doppelbettgroße Liegen und Palmen überall.

Park Fiction agiert durchgängig als Ko-Autorin der Ideen der jeweiligen Urheber*innen, um diese in vielen Fällen von der Ausschreibung, durch alle Leistungsphasen hindurch, bis zur Gestaltung zu begleiten und um sie ihrem Charakter nach intakt in den Bau zu übersetzen.

Ein wichtiger Teil des Park Fiction nach seiner Umbenennung in “Gezi Park Fiction” im Jahr 2013 (Foto: Margit Czenki)

documenta11


Schon vor der Realisierung des Parks wird Park Fiction 2002 auf die von Okwui Enwezor kuratierte documenta11 eingeladen, es folgen Ausstellungen, Vorträge, Workshops und Filmscreenings von New York bis Tokyo, vom Massachusetts Institute of Technology in Boston bis zum Center for the Studies of Developing Societies in Delhi.

Park Fiction treibt so den Diskurs um einen erweiterten Kunstbegriff voran und holt im Gegenzug Kolleg*innen und Kollektive nach Hamburg – etwa 2003 für die mit Unterstützung der Kulturstiftung des Bundes ausgerichteten Konferenz Unlikely Encounters in Urban Space. Der „globale Austausch“ des „lokalen Wissens“ bleibt auch nach der Realisierung des Parks 2003 / 2005 ein Thema und führt zur Gründung des Park Fiction Archivs im Obergeschoss des Golden Pudel Klubs (heute Locke) und des Park Fiction Komitees, das seitdem mit Nachbar*innen gärtnert, den Park als Ort für selbstorganisierte und informelle Nutzungen offen hält, Privatisierungsversuche abwehrt und als Ansprechpartner*in für alle Belange des Parks agiert.

Park Fiction ist (Gründungs-)Mitglied von buttclub (2000), Es regnet Kaviar (2008), Utopia Salon & Spa (2009), Recht auf Stadt Hamburg (2009) und der Stadtteilversammlungen St. Pauli selber machen (2010), der Planbude (2013), sowie des Salon de Confluencia (2023).

Legacy

In der Folge haben die künstlerischen Mitglieder von Park Fiction in unter- schiedlichen Kontexten und Konstellationen die Methodologie der Wunschproduktion verfeinert.

Für die ContainerUni der Zeppelin Universität Friedrichshafen zeigten Margit Czenki und Christoph Schäfer mit quartiervier Architekten, wie sich Wunschproduktion der zukünftigen Nutzer*innen als radikale Individualisierung und programmatische Aufladung auch in einem komplett standardisierten Bausystem anwenden lässt. „Nutze das Provisorium und sorge dafür, dass alle hinterher diesem Zustand nachweinen.“

Die Planbude hat im Auftrag des Bezirks Mitte die Methode der Wunschproduktion fast wissenschaft- lich präzisiert und in einer bisher uneingeholten Weise intensiviert. Unter dem Motto „Knack’ den St. Pauli Code“ wurde aus über 2.300 Beiträgen ein präzises und leiden- schaftliches Anforderungsprofil für die Neuen Essohäuser entwickelt und nach Verhandlungen mit Stadt und Investor zur Basis der Ausschreibung eines hochbaulichen Wettbewerbs und des Bebauungsplans.

FABRIC- Brombach Dreaming ist ein Test, ob Wunschproduktion auch in einem ländlich-vorstädtischen Kontext Planung befeuern kann. Zusammen mit einem Computer-Linguisten entwickelte das interdisziplinäre Planungs-Team eine Software zur Archivierung, Verschlagwortung und leichteren Auswertung von Material aus der Wunschproduktion.

Parklabyr: Für das Museum Morsbroich arbeiten Margit Czenki & Christoph Schäfer daran, einen verwahrlos- ten und in den Sechzigerjahren verstümmelten Rokoko-Schloss-Gar- ten mit Kunst und extrem diverser Stadtgesellschaft zu verknüpfen, und dabei exemplarisch am Beispiel Äußerer Schlossgarten eine neue Konfiguration von Natur, Kunst und Gesellschaft zu erdenken.

Die Füsse in die Elbe strecken

1997: „(…) Ganz schön voll hier, denken Sie. So viele gute Ideen, so viele Menschen – wir könnten noch mehr Platz gebrauchen. Die ganz Stadt könnte anders aussehen…“ Durch ihre blinzelnden Augenlider fällt ihr Blick fällt auf ein langgestreckte, leere Betonfläche am Hafenrand…“.

Schon die erste offizielle Einladung zum Planungsprozess an die Bevölkerung St. Paulis, der legendäre Park Fiction Spielplan, fasst den Uferstreifen als Erweiterungsgebiet des Antoniparks ins Auge.

12 Jahre später, 2009, wollen die Hamburger Beachclubs aus der Hafencity auf die Fläche ziehen – die Nachbar*innenschaft läuft Sturm gegen die Pläne, denn alle wissen: Ist ein Gebiet einmal privatisiert, stehen dort über kurz oder lang Investoren- architekturen. Unter dem Titel „Es regnet Kaviar“ entsteht das „Aktionsnetzwerk gegen Gentrification“, fordert Strand für alle: „We shall fight them at the beaches“, wird Churchill zitiert. Park Fiction startet eine erste Wunschproduktion für den Uferstreifen. Umgehend stoppt die Stadt die Beachclub-Pläne, die Wünsche bleiben vorerst im Wunscharchiv.

2019 diskutiert das Park Fiction Komitee, wie sich der stark genutzte Park ans Ufer erweitern ließe. Im Bürgerschafts-Wahlkampf 2020 wird der Park Fiction zur symbolischen Fotokulisse der Grünen Parteispitze
in Bund und Land. 10 Tage vor der Wahl schließlich präsentieren Umweltsenator Kerstan, Verkehrssenator Tjarks und die Zweite Bürgermeisterin Fegebank das Vorhaben für eine Erweiterung des Park Fiction auf den Uferstreifen.

Das Park Fiction Komitee bedankt sich via social media für den Auftrag und wird zum Gespräch eingeladen. Alles weitere zum Thema “Qualifizierung Hafenkante” lesen Sie hier.