Utopian Pulse – Flares in the Darkroom: Salon Public Happiness
Ausstellung:
10. – 16. September 2014 Wiener Secession
20. Juni – 16. August 2015 Württembergischer Kunstverein Stuttgart
Videoccupy (Istanbul), und Esso Häuser – Filmteam (Irene Bude, Steffen Jörg and Olaf Sobczak), Esso Häuser Nachruf von Megafonchor (Sylvi Kretzschmar, Video by Svenja Baumgardt), Der Investor (Die Goldenen Zitronen, Regie: Ted Gaier, Katharina Duve, Timo Schierhorn; echo häuser, the good, the bad and the ugly, (Regie: Frank Egel und Julia Priani), PlanBude EssoHäuser – Margit Czenki, Christina Röthig, Volker Katthagen, Sabine Stövesand, Renee Tribble, Lisa Marie Zander, und Christoph Schäfer
Das Glück des Öffentlichen
In ihrem Essay „Revolution and Public Happiness“ analysiert Hannah Arendt den von Thomes Jefferson und den Aufklärern seiner Zeit verwendeten Begriff des „öffentlichen Glücks“: Durch die gemeinsame Praxis der demokratischen Treffen, der politischen Salons und kollektiven Aktionen, sei den amerikanischen Revolutionären die Verknüpfung von „Public“ und „Happiness“ so selbstverständlich gewesen, dass Jefferson bei der Formulierung des First Amendments der US-Amerikanischen Verfassung gar nicht auf die Idee gekommen sei, mit dem „pursuit of happiness“ könne etwas anderes gemeint sein, als das Recht auf (und die Freude am) gemeinsamen Diskutieren, Entscheiden und Handeln.
Schon wenige Jahrzehnte später war diese Idee in Vergessenheit geraten, und zwar so weitgehend, dass sich die bürgerliche Gesellschaft geradezu durch die scharfe Trennung von privater und öffentlicher Sphäre definieren lässt. „Happiness“ gilt dabei als individuelle Sache, als Privatangelegenheit, als Feld, aus dem sich die Politik herauszuhalten habe. Die dominante Meinung, Kunst sei nicht politisch, korrespondiert mit dieser Trennung und hat darin ihre Wurzel. Dementsprechend verarmt ist das Gegenüber, der öffentliche Raum, das öffentliche Sprechen und der sich zunehmend auf das Bürokratische reduzierende politische
Diskurs.
Space is the Place
Die im Salon Public Happiness präsentierten Gruppen verbindet die Nähe zu einer Praxis, die man als Wiederentdeckung der „Public Happiness“ verstehen kann. Und sie alle verbindet ein Zweites: Sie finden dieses neue Gemeinsame nämlich nicht in politischen Parteien, auch nicht in der Fabrik oder im Feld des gemeinsamen Diskurses, sondern im Raum – im urbanenen Raum, der mit Henri Lefebvre als „sozialer Raum“ beschrieben werden kann, der durch Handeln überhaupt erst produziert wird.
Dieser urbane Raum gewinnt wieder rasant an Bedeutung – als Ort der Produktion von Ideen, Beziehungen, Trends, Atmosphären, Netzwerken, Images, Innovationen, Lebensstilen und zunehmend auch wieder von Dingen, die durch diese „soften“, „immateriellen“, „städtischen“ Qualitäten geprägt werden.
Aus dem gleichen Grund rücken Städte zunehmend in den Focus des Kapitals. Verstärkt durch die Finanzkrise, flüchtet das Geld auf der Suche nach Sicherheit und Rendite in den künstlich verknappten städtischen Bodenmarkt, treibt die Preise nach oben, und verdrängt zunehmend diejenigen an den Rand, die in diesem Spiel nicht mehr mithalten können. In der globalen To-go-Zone sind Gentrifizierung und soziale Spaltung längst keine „Befindlichkeiten“ mehr, sondern zum dominanten Paradigma der Stadtentwicklung geworden.
Verräumliche Dein Begehren
Alle im Salon Public Happiness gezeigten Projekte sind Teil von widerständigen Bewegungen, die ihre Praxis im städtischen Raum verankern, verräumlichen, und dadurch neue Verbindungen möglich machen: Das Videoccupy Collective gründete sich in den ersten Tagen der Besetzung des Gezi Parks in Istanbul. Aus einer kleinen Gruppe von Park-Besetzern entwickelte sich in kürzester Zeit die Kommune von Gezi und eine vielfältige Protestbewegung in allen großen Städten der Türkei. Occupygezi richtete sich zunächst gegen die Bebauung eines innerstädtischen Parks, der durch ein Shopping Center im Stil einer osmanischen Kaserne ersetzt werden sollte. Der Kampf um den Park wurde zur grundsätzlichen Auseinandersetzung über Demokratie und Menschenrechte und die neoliberale Transformationspolitik der Regierung Erdogan. Im besetzten Park kam ein ganz anderes Gesicht der Türkei zum Vorschein: Vielfältig, gewitzt und voller Liebe zum Leben. Im Zentrum des Parks stand das LGBT-Zelt (Lesbian-Gay-Bi-Transgender), drumrum gruppierten sich auf engstem Raum so unterschiedliche Leute wie der Sufitänzer mit rosanem Rock und Gasmaske, Fußballfans von Besiktas, Fenerbahce und Galata, die vormals unversöhnlichen Kemalisten und die PKK, die antikapitalistischen Muslime, Biogärtner_innen und neue außerparlamentarische Gruppierungen wie die Müstereklerimiz (Unsere Commons), kritische Apotheker, hedonistische Jugendliche, Mädchen in Kleidern, Frauen mit Kopftuch, oder, etwas später, der als Taksim Pianist bekannt gewordene Davide Martello aus Konstanz am Bodensee. Videoccupy archivieren tausende von Stunden Material, das Ihnen von hunderten von Smartpad-und Video-Filmern zur Verfügung gestellt wurde.
Das Kollektiv arbeitet mit „Videogrammen“, einem Titel, den sich die jungen Filmer von Harun Farocki ausgeborgt haben. Ein Videogramm ist maximal 3 Minuten kurz und fokussiert einen spezifischen Moment, einen speziellen Blickwinkel, oder eine einzelne Person. Die Filmer_innen weisen den Anspruch zurück, die große Erzählung zu liefern und DEN Gezi Film machen zu wollen.
Denn „der Geist von Gezi ist aus der Flasche entwichen, und er lässt sich nicht wieder in einer neuen Flasche einsperren“ wie es einer der antikapitalistische
Muslime ausdrückt. Oder mit den Worten der Kulturwissenschaftlerin Göksun Yazici: „Dies ist eine phänomenologische Revolution, ein Erdbeben im Unbewussten“.
Recht auf Stadt
So weit ist die Situation an der Elbe noch nicht. Dennoch sorgt seit 5 Jahren die Hamburger Recht-auf-Stadt-Bewegung für utopische Funken. Denn die stadtweit
vernetzten, „verräumlichten“ Initiativen (Gängeviertel, SOS-St. Pauli, St. Pauli selber machen, Fette Mieten Party, Mietenwahnsinn stoppen, FabLab St. Pauli, um nur einige zu nennen) trotzen der Stadt immer wieder Erfolge ab, und beginnen sogar, die Gesetzgebung zu verändern. Im Focus der Ausstellung steht der aktuelle Konflikt um die ESSO-Häuser, ein 60er-Jahre-Block voller bezahlbarer Wohnungen an der Reeperbahn, dessen Bewohner_innen sich über Jahre gegen den Abriss ihrer Häuser durch die Bayerische Hausbau gewehrt hatten, bis die Häuser Mitte Dezember 2013 mitten in der Nacht für einsturzgefährdet erklärt – und polizeilich geräumt wurden. Irene Bude und Olaf Sobczak verfolgen den Kampf der Bewohner_innen seit Beginn als Teil der ESSO-Initiative. Der Produzent des Films, Steffen Jörg, organisierte für die Gemeinwesenarbeit St. Pauli die Basisarbeit in den Häusern. Ihr international wahrgenommener erster Film, „Empire St. Pauli“, war bereits ein wichtiger Bestandteil des Widerstands gegen Gentrifizierung auf St. Pauli – um so mehr, weil das Team den Film immer wieder an umkämpften oder erkämpften Orten der Stadt vorführte, und das Medium Video aus dem Netz zurück in den räumlichen und politischen Kontext stellte. Der ESSO-Häuser Film, der im Herbst fertig werden soll, geht noch näher ran als sein Vorgänger, zeigt würdevoll, mit Humor und Selbstironie die Bewohner_innen, die den modernen Zweckbau über die Jahrzehnte in einen lebendigen Ort voller Geheimnisse und heimlicher Schönheit verwandelt hatten.
Utopische Überschüsse
Neben der Vernetzung von Basisarbeit mit anderen Initiativen und selbstbestimmten und gefährdeten Orten, wie Rote Flora, Gängeviertel, Park Fiction, Golden Pudel Klub oder Centro Sociale, mit juristischer Beratung und Widerstand, zeichnet sich die Hamburger Situation dadurch aus, dass immer wieder Künstler_innen und Musiker_innen tragende Rollen in den Bewegungen spielen und ihre künstlerische Arbeit in diesem Zusammenhang entwickeln. Der Song Echohäuser, von The Good, The Bad & The Ugly, einer durch die ESSO-Häuser Bewohnerinnen Oxana Smakova und Julia Priani angereicherten anonymen Allstar-Kombo, fordert in düsterem Dub zur Solidarität mit den ESSO-Mieter_innen auf: „United We Stand – Divided We Fall“.
Public Address
Performerin Sylvi Kretzschmar gründete den Megafonchor ebenfalls aus der Recht auf Stadt Bewegung heraus. Vorangegangen sind aufwendige Recherchen zu „P.A.‘s“ – Public Address Systemen, bzw. stimmverstärkenden Apparaten. Kretzschmar interessiert dabei die Auswirkung der Verstärkungsapparate auf das „öffentliche Sprechen“. Ihrer Performance „Esso Häuser Echo“ ging der „Aufruf zum Nachruf“ voraus, eine Einladung an Nachbar_innen, ihre Erinnerungen an die ESSO-Häuser per Telefon auf Band zu sprechen. Aus diesen Fetzen Alltagssprache collagiert die Regisseurin einen vom Megafonchor im Stil eines technisch bewaffneten griechischen Chors vorgetragenen Text, der grammatikalische Unrichtigkeiten, semantischen Sprünge, Dehnwörter und persönliche Idiosynkrasien des privaten Sprechens und Räsonnierens kunstvoll nutzt, um Spannung, Tempowechsel, Überraschungen, Zusammenhänge und Geistesblitze zu produzieren – die das „politische Sprechen“ nicht mehr hinbekommt. Durch die raumgreifende Inszenierung am Ort des Konflikts, entsteht eine künstlerisch komplexe Herausforderung an das öffentliche Sprechen.
Participation de Luxe
Es ist dahr nur eine logische Folge des vielfältigen und ausdauernden Widerstands, dass die PlanBude kurz davor steht, die Beteiligung an der Neuplanung der ESSO-Häuser vor Ort – ganz offiziell von der Stadt beauftragt, zu organisieren. Das aus den Initiativen St. Paulis rekrutierte, interdisziplinäre Team aus Planer_innen, Künstler_innen, Sozialarbeiter_innen und Architekt_innen entwickelt ein Set partizipativer Tools, die das „Mitplanen“ – also das Einbringen von Ideen und Gedanken im gegenseitigen Austauch als Grundlage der weiteren
Planung auf breiter Basis ermöglichen. Das zum Teil bereits durch das auch auf der Documenta11 ausgestellte Projekt Park Fiction profilierte Team zeigt in der Ausstellung einige der Tools, die den komplexen Planungsprozess auch für Laien zugänglich machen sollen. Vor Ort stellt PlanBude derzeit einen kräftigen visuellen Auftritt aus öffentlichem Planungsbüro, das sich mit taktischen Möbeln in den Stadtraum erweitern lässt, Schablonen- und Klebeband-Lettering, Events und Lectures zusammen, die einen Paradigmenwechsel für die Planungskultur andeuten: Kulturell geprägte Beteiligung – und deren Umsetzung. Eine Plattform des Austauschs, eine Kultur des sich gegenseitig schlauer machens.
Die Stadt ist unsere Fabrik
Künstler wissen, dass es Innovation nur im Doppelpack mit Rebellion und freier Selbstorganisation geben kann. Dass sich der Markt diese Innovationen immer wieder einverleibt, ist eine Binsenweisheit der verkürzten Gentrifizierungskritik, die im Video Der Investor von den Goldenen Zitronen thematisiert wird – die Band aber nicht zu jener resignativen Sich-Raushalten-Haltung verleitet, die in weiten Kreisen eine politisch-kulturelle Lähmung bewirkt. Stattdessen mischen Mitglieder der Band in der ESSO-Häuser-Initiative mit, und arbeiten wie die anderen Projekte der Ausstellung daran, dass sich soziale und kulturelle Proteste nicht auseinander dividieren lassen. Dennoch geht es bei den sich verschärfenden Auseinandersetzungen in den Städten, die weltweit die Fabrik als Ort der Produktion ablösen, darum, die neoliberal begünstigte Abschöpfung des Mehrwerts einzudämmen – oder ganz zu überwinden. „Public Happiness“ kann in dem Zusammenhang auch bedeuten, dass es heute darum gehen muss, Formen politischen Handelns zu entwickeln, die sich nicht erst nach einer imaginären Revolution bezahlt machen, sondern bereits auf dem Weg dahin, in den eigenen Aktionsformen und Projekten, einen utopischen Puls transportieren, der eine andere Welt möglich macht. Für einige der Bewohner_innen der ESSO-Häuser hat sich das, trotz all der Härten, bereits gelohnt: Sie treten in drei der gezeigten Videos auf, bilden den Background Chor des Echohäuser Songs, reisten auf der Suche nach Alternativen zum Abriss mit der Initiative zur Architkturbiennale nach Venedig und nach Paris, und haben sich durch die politisch Selbstorganisation neue kulturelle Felder angeeignet.
Bewaffne Deine Wünsche!
Christoph Schäfer,
künstlerischer Subkurator Salon Public Happiness,
Wien im September 2014
Ausgestellte Arbeiten
Kreuzraum:
Videograms
Park / Park, 38.55 Min
Sokak / Straße, 37.36 Min
Meydan / Platz, 34.11 Min
Videoccupy Collective, 2014
Durchgang:
Taktischer Vorhang
Acryl auf Taft,
PlanBude 2014
PlanBude Ideenarchiv (Anfang)
Acryl auf A3 Sammeltaschen, Holz, Schraubgewinde, Panzerband
PlanBude 2014
Galerie:
Klobürste
Protestsymbol gegen die polizeiliche Einrichtung von Gefahrengebieten in
St. Pauli,
Anonym 2014
Echohäuser (United We Stand – Divided We Fall)
Musikvideo, 4.25 Min, 2013
Musik: The Good The Bad & The Ugly (Thomas Wenzel: Vocals, Klavier, Drum Computer/Ømmes Andreas Fröhling: Bass, Vocals, Space Echo/Mense Reents: Synthesizer, Ted Gaier: Effektsnare, Julia Priani & Oxana Smakova: Vocals, Der Buttclubchor: Backingvocals, Produziert und gemischt von Mense Reents und Ted Gaier im Art Blakey Studio Hamburg)
Regie & Idee: Frank Egel & Julia Priani
Kamera & Schnitt: Frank Egel
Esso Häuser Echo
Performance des Megafonchors, 2014
Video, 25:06
Svenja Baumgart 2014
Taktische Möbel
Volumen Knet Modell
Die hundert Millionen Euro Frage
Team-Bändel
PlanBude 2014
Die ESSO-Häuser – Trailer
20 minütiger Preview für den ESSO-Häuser-Film von Irene Bude, Olaf Sobczak und Steffen Jörg, Start im Herbst 2014
Der Investor
Musik: Die Goldenen Zitronen
Video: Katharina Duve, Ted Gaier, Timo Schierhorn 2014
4:08 Min
Bewaffne Deine Wünsche
Performance des Megafonchors während des Abrisses der Esso-Häuser, St. Pauli 2014
Fotoprint 140 x 340
Foto Margit Czenki 2014
links:
http://utopian-pulse.org
https://christophschaefer.net
https://tr-tr.facebook.com/Videoccupy
http://planbude.de
http://www.essohaeuser.info
http://www.initiative-esso-haeuser.de
http://www.die-goldenen-zitronen.de