Topografie der Gemeinheit | kunstwegen | 2012

Topografie der Gemeinheit ist eine dreiteilige Installation, die 3 Orte in Samern markiert [Rabenbaum / Sintflut / Kino]. Die Elemente verbinden den Gemeinschaftswald Samerrott, die Grenze dieser Gemeinheit, und den Hof Schulze Holmer. Auf einer örtlichen Legende basierend, legt die Arbeit die vergessene Geschichte des Widerstands gegen die Enteignung der Allmenden und des militanten Täufertums frei und verbindet das Gelände mit dem “Aufstand des gemeinen Mannes”, mit Albrecht Dürers “Traumgesicht” von 1525, und mit einem vergessenen Lied, 1534 geschrieben von der revolutionären Lieddichterin Anna Jansz.

Sintflut: Eine eigenartig geformte Glasscheibe durchschneidet einen Wall am Waldesrand: Vier Meter hoch, erinnert ihr Umriss an einen umgekehrten Atompilz – oder eine Sintflut.

Rabenbaum: Tiefer im Wald, 5 Gehminuten entfernt, trifft der Besucher auf eine von einem Ring aus Holz eingekreiste Eiche und einen flach über dem Boden schwebenden Stein. Ein kreisförmig ausgeschnittenes Stück fehlt in der Felsscheibe. Sein Umfang entspricht dem des hölzernen Rings.

Kino: Das fehlende Felsstück findet sich 2 Kilometer entfernt wieder, in einer Scheune des Hofes Schulze-Holmer. Beim Betreten des Raums werden Vitrinen ins Licht gesetzt: Zeichnungen und Diagramme schildern die verborgene und vergessene Geschichte der Leibeigenschaft, der Enteignung der Allmenden und Gemeingüter, sowie des Widerstandes dagegen, der mit dem Ausbruch des Bauernkrieges, dem “Aufstands des gemeinen Mannes”, ab 1524 den gesamten süddeutschen Raum bis in die Alpen erfasste, und sich zehn Jahre später im Norden als militante Täuferbewegung radfikalisierte.

Drückt der Besucher auf einen Knopf an der Wand, verwandelt sich die Scheune in ein Kino: Mahlmänner, Bauern der umliegenden Höfe, erzählen am Rabenbaum die Geschichte des bis heute gemeinschaftlich genutzten “Samerrotts”, ein Laienchor aus der Grafschaft singt erstmals die Deutsche Fassung eines revolutionären Täuferliedes.

Christoph Schäfer markiert mit seiner “Topografie der Gemeinheit” 3 Orte in Samern – den Rabenbaum, die Grenze zwischen dem Gemeinschaftswald Samerrott und dem angrenzenden privaten Feld, und den Hof Schulze Holmer. Schäfers Arbeit basiert auf der örtlichen Legende von “Anna Holmer und dem Wiedertäufer”, einem Sozialrevolutionär, der sich 1534 nach der Niederlage des Täuferreichs von Münster, im Rabenbaum, im Samerrott, vor den Häschern des katholischen Bischofs von Waldeck versteckt haben soll.  Der Legende zufolge, retteten die Bauern den Kämpfer und versteckten ihn im Hof Schulze-Holmer. Das im Film gesungene Lied der holländischen Täuferin Anna Jansz stammt aus demselben Jahr – und speist sich aus den gleichen politisch-religiösen Quellen.

Schäfers Arbeit setzt sich intensiv mit der Geschichte der Gegend und ihren Bewohnern auseinander: Der Aufbau der Arbeit im Samerrott war nur durch die Unterstützung der Mahlmänner möglich, die ihren Wald als Gemeineigentum noch Mitte des 19ten Jahrhunderts gegen Enteignungsversuche des Adels verteidigen mussten. Der Künstler stellte seine Idee beim alljährlich seit Jahrhunderten stattfindenden Treffen der Mahlmänner vor, und argumentierte, dass es zwar Denkmäler für Kriege und Fürsten gäbe, aber keine für den erfoglosen, aber berechtigten Widerstand gegen die Obrigkeit.

Die anspielungsreiche und überkomplexe Arbeit zitiert in der Sintflut am Waldesrand Albrecht Dürers unter dem Eindruck der Niederlage des Bauernaufstands getuschtes “Traumgesicht” von 1525.

Für Schäfer ist bereits der hölzerne Ring am Standort des alten Rabenbaums eine “soziale Plastik”, denn die Bauern erinnern mit ihrer Installation an den alten, in den 1860ern abgefackelten Baum und die mit ihm verknüpften Legenden. Dennoch ist der Blick, den die Topografie der Gemeinheit zurück in die Vergangenheit wirft, nicht nostalgisch. Vielmehr ist diese Arbeit interessiert, die damals in Europa verschwundene Nutzungsform des Gemeinen wieder neu anzuschauen. Die Commons, die Allmenden werden inzwischen wieder als Alternative zur in die Krise gerutschten Ordnung des Privateigentums diskutiert. Also als Alternative zur Ordnung des Marktes und des Nationalstaats, die damals so blutig durchgesetzt wurde.